Auf den ersten Blick wirkt das neue Fassadenteil am Naturkundemuseum fast, als ob hier übereifrige Maler am Werk gewesen sind. Über dreieinhalb Fensterachsen leuchten Mauerwerk und Rundbögen blendend hell, die Fenster sind „blind“. Bei näherem Hinsehen wird aber klar: Die Kriegsschäden der historischen Fassade wurden nicht originalgetreu mit Ziegelstein wiederaufgebaut, sondern mit Strukturbeton-Teilen nachgebildet.
Die Idee für die ungewöhnliche Vorgehensweise bei der Rekonstruktion der Museumsfassade stammt von den Architekten Diener & Diener. Sie bauten zwischen 2008 und 2010 den im Zweiten Weltkrieg zerstörten Ostflügel des Berliner Naturkundemuseums wieder auf. In dem (übrigens auch von innen hochinteressanten) Neubau befindet sich nun die riesige Sammlung der in Alkohol konservierten Tierpräparate. Sie muss vor Licht und Wärme geschützt werden, daher konnte auf Fenster in der Fassaden verzichtet werden.
Anstatt die nicht mehr vorhandenen Teile der historischen Ziegelfassade im gleichen Material „nachzubauen“, entschieden sich die Basler Architekten für eine ungewöhnliche Variante der Denkmalpflege, um „Alt“ und „Neu“ in irritierender Weise sichtbar zu machen und miteinander zu verbinden: Von den erhaltenen Teilen der Ziegelfassade wurden Abdrücke aus gummiähnlichem Material hergestellt, sogenannte „Strukturmatrizen“. Mit diesen Vorlagen konnten von einem spezialisierten Betonfertigteil-Hersteller exakte Fassadenelemente gegossen werden. Auf der Baustelle wurden die Teile zur neuen Fassade zusammengesetzt.
Für die Fassade des Naturkundemuseums wurden individuell angefertigte Matrizen verwendet. Das „Zement-Merkblatt Hochbau: Sichtbeton – Techniken der Flächengestaltung„ beschreibt diese Art der Schalung ausführlich: „Schalungsmatrizen sind elastische Kunststoffschalhäute oder schalungen zur vorgabentreuen Texturierung einer Betonfläche. Die üblichen Texturtiefen reichen bis zu 80 mm, tiefere Texturen und starke Unterschneidungen sind möglich.
Die Flächentexturierung durch Matrizen eignet sich neben der Verwendung katalogisierter Standardtexturen besonders zur Herstellung von Sondertexturen aus künstlerischen Einzelfertigungen, die durch einen gummielastisch erhärtenden Flüssigkunststoff abgegossen werden. Der elastische Abguss ist die Schalung der gewünschten Betonflächen oder -bauteile. Kunststoffmatrizen bzw. formen können bei entsprechender Pflege weit über 100 Einsätze mit gleichmäßigem Flächenbild leisten.“
Die oben genannten „katalogisierten Standardtexturen“ werden von spezialisierten Herstellern angeboten. Mit diesen Strukturmatrizen lassen sich z. B. Natursteinmauerwerk- oder Schindelstrukturen in Beton giessen.
Strukturbeton-Beispiele (Fotos: RECKLI GmbH, Herne)
Den Unterschied zwischen Matrizen und Matrizenschalungen erläutert das „Zement-Merkblatt“ so:
„Matrizen bestehen aus einer Vollgummimatte mit einer mittleren Rücken dicke von ca. 8 mm–10 mm, hinzu kommt die jeweilige Strukturtiefe. Matrizen bestehen durchgehend aus gummielastischem Kunststoff, alternativ werden auch warmhärtende Kunststoffe verwendet. Schalhautmatrizen müssen in jedem Falle auf eine Trägerplatte aufgeklebt werden. Matrizenschalungen haben einen »zweistofflichen« Aufbau, die texturgebende Schicht erhält einen Rücken aus verstärktem Schaumstoff. Diese Technik eignet sich für große Texturtiefen und vereinfacht die Handhabung der Elemente, da der Rückenaufbau den Elementen Steifigkeit verleiht. Matrizenschalungen können auf die Schalung aufgeklebt oder in diese eingestellt oder eingelegt werden. Die normativen Mindestbetondeckungen müssen auch an texturierten Ansichtsflächen sichergestellt sein.“
Strukturbeton-Beispiele (Fotos: NOE Strukturbeton, Süssen)
Literatur-Tipp: Das Zement-Merkblatt H8 kann (wie alle Zement-Merkblätter) kostenlos auf beton.org heruntergeladen werden.
Preisegekrönte Betonfassade
Die ungewöhnliche Strukturbetonfassade des Berliner Museums kann man sich vor Ort leider nicht „einfach so“ anschauen. Sie ist nur über einen Wirtschaftshof zugänglich, der für die Öffentlichkeit gesperrt ist. Trotzdem: Diener & Diener Architekten haben mit dem Wiederaufbau des Ostflügels das Naturkundemuseum um ein spektakuläres Stück Architektur bereichert. Das Projekt wurde im mit dem „Architekturpreis Beton 2011“ ausgezeichnet.